Inhaltliche Schwerpunkte des Forschungsverbundes Geschlecht und Handlungsmacht / Gender and Agency

 

Legal Gender Studies

Legal Gender Studies stellen die Frage nach dem Stellenwert der Kategorie Geschlecht im Recht. Wissenschaftlich bearbeitet werden etwa die (traditionellen) Ausschlüsse von und Platzzuweisungen an Frauen durch das Recht sowie die gegen solche Diskriminierungen entwickelten rechtlichen Gleichbehandlungs- und Gleichstellungsinstrumente. Aus historischer Perspektive besonders bedeutsam sind die Einführung des Prinzips der Partnerschaftlichkeit im Eherecht, die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs oder die Einführung von Gleichbehandlungsgesetzen für Privatwirtschaft und öffentlichen Dienst, die auch Frauenförderungsbestimmungen enthalten.


Weiters fokussieren die Legal Gender Studies auf ganz grundlegende Fragen der Herstellung von Geschlecht durch Recht, wenn dieses etwa verlangt, dass Geschlecht als eigene Kategorie in Personenstandsregistern geführt und daher unmittelbar nach der Geburt zugewiesen werden soll. Hier geht es um die Bedingungen der rechtlichen Anerkennung von Personen jenseits der Geschlechterbinarität – etwa im Fall von Transgender oder von Intergeschlechtlichkeit. Da hier der Geschlechtsidentifikation eine immer bedeutendere Rolle zukommt, kann von einer „normativen Wendung“ des Geschlechterbegriffs gesprochen werden. Weiters gehören zum rechtlich reflektierten Geschlechterbegriff jedenfalls sexuelle Orientierungen, Identitäten und Lebensweisen, die von der binär-heteronormen Geschlechterordnung abweichen bzw. sich gegen diese wenden. Darüber hinaus erweist sich die Komplexität des Geschlechterbegriffs auch an dessen intersektioneller Erweiterung: Geschlecht ist ein zentrales, aber nicht das einzige Element in einer Welt multidimensionaler Positionierungen in einem Gefüge hierarchisierter Differenzen. Angesprochen sind etwa die Überschneidungen mit Marginalisierungen aufgrund der ethnischen Herkunft, der Behinderung, der Religion oder des Alters. Entsprechend anspruchsvoll ist die stets neu zu stellende Frage, wie Autonomie durch Recht befördert werden kann.

Koordination: Elisabeth Holzleithner, Nikolaus Benke


Gender und Handlungsmacht im Rahmen geschlechtsbasierter Gewalt

Geschlechtsbasierte, sexuelle und sexualisierte Gewalt sind – nicht zuletzt durch die #MeToo-Kampagne – wieder in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt. Gewalt, so das Ergebnis feministischer Forschung, ist ein zentraler Modus der Aufrechterhaltung patriarchaler Gesellschaftsverhältnisse an der Schnittstelle zu weiteren Ungleichheitsdimensionen wie Ethnizität, Religion, Migration, sexuelle Orientierung und Klasse. Während genderbasierte, sexuelle Unterdrückungs- und Gewalterfahrungen in verschiedenen Kontexten vielfach analysiert wurden, ist der Anspruch, sich auch mit Konzepten und Praxen von Agency zu beschäftigen, bislang nicht ausreichend erfüllt worden. Dieser Forschungsschwerpunkt setzt die konstruktive Weiterentwicklung von Agency auch in gewaltvollen Kontexten inhaltlich und methodisch in den Mittelpunkt. Daher werden insbesondere Gewaltstrukturen und Handlungsstrategien wie Widerstand und Ermächtigung gegen Gewalt im Hinblick auf ihre Relevanz zur Stabilisierung lokaler und globaler Geschlechterhierarchien untersucht. Zentral hierfür ist die Entwicklung eines intersektionellen Gewaltkonzepts. Auch Inter- und Transdisziplinarität sind maßgeblich: Interdisziplinarität erlaubt, neue Formen von Gewalt in globalen Kontexten innovativ zu erforschen, Transdisziplinarität ermöglicht die Verbindung von wissenschaftlicher Forschung und nicht-akademischen Bereichen, um effektive Formen individuellen und kollektiven Handelns gegen Gewalt, Diskriminierung und Ausbeutung zu unterstützen.

 

Koordination: Birgit Sauer


Gender und Agency im Rahmen von sozialem Wandel/gesellschaftlichen Transformationen

Die explizite Korrespondenz von Gender und Handlungsmacht mit unterschiedlichen historischen und regionalen gesellschaftspolitischen und wissenschaftsgeschichtlichen Kontexten steht im Zentrum dieses Schwerpunktes. Die multiplen Verwobenheiten von Gender und Agency mit Prozessen von sozialem Wandel werden ebenso thematisiert wie die Veränderungen von Gender und Agency selbst. Diese Thematik soll kulturwissenschaftliche Zugänge ebenso ermöglichen wie historische, sozialwissenschaftliche und philologische/sprach- und literaturwissenschaftliche. Gestärkt werden sollen unter anderem jene kulturwissenschaftlichen Perspektiven, die Gender und Agency im Sozialen, Politischen und Wirtschaftlichen sowie die materiellen Grundlagen der Kultur in den Fokus nehmen.

Koordination: Gabriella Hauch


Religiosität/(Post-)Säkularität

Säkularität und Religiosität befinden sich in einem beständigen globalen Aushandlungsprozess. Seit den 1990er Jahren wird eine Zunahme der Sichtbarkeit und Bedeutung religiöser Gemeinschaften festgestellt, wodurch insbesondere die Säkularisierungsthese, die besagt, dass Religiosität mit zunehmender Modernisierung abnimmt, in Frage gestellt wird. Zum Erstarken der Sichtbarkeit religiöser Gemeinschaften haben unterschiedliche Faktoren wie religiöse Fundamentalismen aber auch die globalen Vernetzungsmöglichkeiten durch das Internet beigetragen. Aus einer Geschlechterperspektive ist interessant, dass dabei sowohl Entwicklungen in eine progressive als auch konservative Richtung bezüglich der inhärenten Geschlechterverhältnisse zu verzeichnen sind. Einerseits haben sich Religiosität und Spiritualität in Europa aus den religiösen Institutionen gelöst und werden vermehrt individualisiert sowie de-instituionalisiert praktiziert. Hier sind ebenso wie in den feministischen Theologien auch feministische religiöse Bewegungen vorzufinden. Andererseits erstarken religiöse Fundamentalismen, die Geschlechtergerechtigkeit und die Gender Studies als Forschungsfeld bekämpfen.


Koordination: Sabine Grenz