Ein Trojanisches Pferd? Zur Instrumentalisierung von Frauenpolitik in der Integrationsdebatte

Autor(en)
Elisabeth Holzleithner, Ines Rössl
Abstrakt

In den 1990er-Jahren gelangten bestimmte Formen von Gewalt an Frauen unter dem Titel „harmful traditional practices“ verstärkt in den Fokus des UN-Menschenrechtsdiskurses. Darunter wurden Praktiken verstanden wie z. B. Female Genital Mutilation/Cutting (FGM/FGC), Sohnpräferenz, Tötung von Mädchen, Kinderehen, Brautpreis oder Zwangsverheiratungen. Seit der Jahrtausendwende intensivierten sich die politischen Bemühungen auf internationaler wie auf europäischer Ebene. Auch medial rückte das Thema ins Rampenlicht. Dass die Diskussionen damals „mit einer solchen Plötzlichkeit aufgebrochen sind“, lässt sich durch die Verstrickungen des Themas mit zeitgleich geführten Debatten über die „Krise des Multikulturalismus“, über „Parallelgesellschaften“ und „verfehlte Integrationspolitik“ erklären. Auch in Österreich wurde die Problematik von „harmful traditional practices“ vorrangig „bestimmten Kulturen“ zugeordnet, die durch „globale Migration“ nach Europa gelangt seien. So wurde Mitte der 2000er-Jahre der „Kampf gegen die Gewalt an Frauen aus ethnisch und religiös minorisierten Kontexten“ zu einem zentralen Fokus der österreichischen Frauenpolitik. Damit sind in diesem Zusammenhang die von staatlichen Institutionen ausgehenden Politiken angesprochen, die auf frauenspezifische oder Frauen besonders betreffende Problemlagen und Maßnahmen abzielen.

Der vorliegende Text analysiert, auf welche Weise „traditionsbedingte Gewalt“ Eingang in die österreichische politische Landschaft gefunden hat und inwieweit es dadurch zu einer Diskursverschiebung gekommen ist. Themen „allgemeiner“ Geschlechtergerechtigkeit (wie z. B. Gewalt gegen Frauen) änderten ihr Gesicht und wandelten sich zu Themen, die minorisierten zugewanderten „Anderen“ zugeschrieben und ihnen als mangelnde Integration in die angeblich von Geschlechtergleichheit durchdrungene österreichische Gesellschaft ausgelegt werden konnten. Dabei soll im Folgenden auch thematisiert werden, inwiefern Maßnahmen gegen geschlechtsbezogene Gewalt häufig bloß als „Symbolpolitik“ erfolgen. Solche Symbolpolitik ist in doppelter Hinsicht problematisch: Zum einen werden tatsächlich existierende Probleme nur scheinbar gelöst, und zwar mit Maßnahmen, die meist dem Strafrecht zuzuordnen sind. Es ist dies ein Ausdruck eines „carceral feminism“, der primär auf die repressive Macht des Staates setzt, aber nicht hinreichend mit dem Einsatz von Ressourcen und proaktiv tätig wird. Zum anderen werden im Zuge solcher Symbolpolitiken ganze Bevölkerungsgruppen als „anders“ respektive „gefährlich“ markiert; die Unterdrückung von Frauen wird den migrantischen Anderen zugeschrieben, während es umgekehrt scheint, als bräuchten „die österreichischen Frauen“ Gleichstellungspolitik gar nicht mehr, weil ihre Gleichberechtigung ohnehin bereits ausgemachte Sache und in der nationalen österreichischen Kultur verankert sei. Der Text spannt den Bogen bis zu gegenwärtigen Debatten über religiös motivierte Bekleidungspraktiken, insbesondere das Kopftuchtragen und die Vollverschleierung, die jedenfalls punktuell mittlerweile ebenfalls im Paradigma der Geschlechtergewalt verortet werden und in welchen die Verzahnung von geschlechter- und integrationspolitischen Diskursen einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Organisation(en)
Institut für Rechtsphilosophie, Forschungszentrum Religion and Transformation
Externe Organisation(en)
Forschungsverbund "Geschlecht und Handlungsmacht - Gender and Agency"
Seiten
361-378
Anzahl der Seiten
18
Publikationsdatum
03-2019
Peer-reviewed
Ja
ÖFOS 2012
505011 Menschenrechte, 603117 Rechtsphilosophie, 504014 Gender Studies
Link zum Portal
https://ucrisportal.univie.ac.at/de/publications/5bdab5ed-1fdb-467c-b2fd-b2473613fcb0