Entwicklung personenzentrierter Prozesse in der Langzeitpflege: Eine empirische Untersuchung zur Wahrnehmung des psychosozialen Klimas

Autor(en)
Martin Wallner, Christiane Hildebrandt, Gudrun Bauer, Hanna Mayer
Abstrakt

Hintergrund und Zielsetzung

Das Konzept der Personenzentrierung (PZ) wird in der pflege- und gesundheitswissenschaftlichen Literatur seit geraumer Zeit breit diskutiert und gilt heute gleichsam als Best Practice-Modell für Pflege und Betreuung in unterschiedlichen Settings. PZ ergänzt das biomedizinische Modell um eine explizite lebensweltliche Perspektive, in der u. a. dem subjektiven Erleben, biographischen Erfahrungen und individuellen Krankheitserlebnissen von Betroffenen Bedeutung zugemessen wird (Edvardsson, Sandman, & Rasmussen, 2009).

Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung personenzentrierter Prozesse in der Praxis kommt der Umgebung zu, in der Pflege stattfindet. Eine personenzentrierte Umgebung wird u. a. als solche konzeptualisiert, die partizipative Entscheidungsfindung und das Teilen von Macht fördert (McCormack & McCance, 2006). Unterstützende Umgebungen werden zudem als Orte definiert, welche die Personhood (Person-Sein, Mensch-Sein) eines Individuums durch die Förderung eines personenzentrierten Klimas bewahren (Edvardsson et al., 2009). Personenzentrierte Interventionen stehen mit zahlreichen positiven Outcomes für zu Pflegende und Pflegepersonen in Verbindung (Edvardsson et al., 2015). Nur wenn die umgebungsbezogenen Voraussetzungen erfüllt sind und das Personal die Arbeitsumgebung positiv und unterstützend wahrnimmt, können personenzentrierte Prozesse initiiert, gestaltet und aufrechterhalten werden. Die Wahrnehmung und Beurteilung der Umgebung durch das Personal ist somit ein entscheidender Faktor in der Entwicklung personenzentrierter Praxiskulturen.

Im Rahmen eines umfassenden Forschungs- und Praxisentwicklungsprojektes verfolgte vorliegende Untersuchung das Ziel, die Wahrnehmung der Arbeitsumgebung durch MitarbeiterInnen (MA) in niederösterreichischen Langzeitpflegeinrichtungen (LPE) zu untersuchen und zu beschreiben. Dies dient als Grundlage für Maßnahmen zur Entwicklung und Evaluierung personenzentrierter Prozesse im Praxissetting.

Methoden

Mittels standardisiertem Erhebungsinstrument, dem Person-Centered Climate Questionnaire – Staff Version (PCQ-S), wurde die Wahrnehmung des psychosozialen Klimas bei MA aller Berufssparten in fünf niederösterreichischen LPE erhoben. In dem Instrument finden theoretische Überlegungen zu unterstützenden Umgebungen im Kontext der Bewahrung der Personhood ihre operationalisierte Entsprechung. Das Instrument gliedert sich in die drei Dimensionen Sicherheit, Alltäglichkeit und Gemeinschaft und weist überzeugende psychometrische Eigenschaften auf (Edvardsson et al., 2009). Die MA-Befragung wurde von April bis Mai 2016 online durchgeführt und war als Vollerhebung ausgelegt.

Ergebnisse

Insgesamt nahmen n=326 MA an der Befragung teil, was einer Beteiligung von 51,1% entspricht. Die befragten MA stuften das psychosoziale Klima an ihrem Arbeitsplatz überwiegend am höheren Skalenende ein. Im Skalengesamtwert erreichten drei der fünf beteiligten LPE überdurchschnittliche Werte, während zwei LPE unterhalb des Mittels lagen.

MA im Bereich Pflege bewerten das psychosoziale Klima als weniger positiv im Vergleich zu MA anderer Berufsgruppen. Innerhalb der Berufsgruppe Pflege stufen MA mit Bachelorausbildung das psychosoziale Klima am höchsten ein, während sich bei MA in den Bereichen Diplom- und/oder Fachsozialbetreuung die niedrigsten Werte finden. Diplomierte Pflegekräfte, PflegehelferInnen und HeimhelferInnen ähneln sich in ihrer Einschätzung und finden sich in einem mittleren Bereich. Die höchsten Werte finden sich bei MA der Abteilungshilfe, der Verwaltung, der Therapie/Medizin sowie der Küche. Höher gebildete MA nehmen das psychosoziale Klima tendenziell positiver wahr.

Je höher die Anzahl der Wochenarbeitsstunden, desto höher wird das psychosoziale Klima in der Dimension „Sicherheit“ bewertet. Hinsichtlich der Faktoren Alter und Geschlecht zeigen sich keine statistisch signifikanten Unterschiede, wenngleich Männer das psychosoziale Klima höher einstufen als Frauen und dessen Bewertung mit steigendem Alter tendenziell zunimmt. Hinsichtlich Art des Anstellungsverhältnisses (befristet/unbefristet), Dauer der Anstellung sowie Anzahl der Fortbildungsstunden zeigen sich keine signifikanten Unterschiede bzw. Zusammenhänge.

Diskussion und Ausblick

Die Ergebnisse zeichnen ein differenziertes Bild der Wahrnehmung des psychosozialen Klimas zwischen verschiedenen Berufsgruppen sowie hinsichtlich soziodemographischer und pflegeberufsspezifischer Faktoren in den beteiligten LPE.

Die Daten können Führungsverantwortlichen dazu dienen, Personal- und Praxisentwicklungsmaßnahmen bei der Implementierung personenzentrierter Prozesse berufsgruppen- und mitarbeiterspezifisch zu planen. Das zum Einsatz gebrachte Instrument (PCQ-S) kann zur Evaluierung entsprechender Maßnahmen herangezogen werden.

Für zukünftige Studien empfiehlt sich die Untersuchung der Wahrnehmung des psychosozialen Klimas in Verbindung mit Faktoren der Arbeitszufriedenheit, um Aufschluss über einflussnehmende und in Verbindung stehende Faktoren zu erhalten.

Literaturangaben

 

Edvardsson, D., Sandman, P. O., & Rasmussen, B. (2009). Construction and psychometric evaluation of the Swedish language Person-centred Climate Questionnaire - staff version. J Nurs Manag, 17(7), 790-795. doi:10.1111/j.1365-2834.2009.01005.x

Edvardsson, D., Sjogren, K., Lindkvist, M., Taylor, M., Edvardsson, K., & Sandman, P. O. (2015). Person-centred climate questionnaire (PCQ-S): establishing reliability and cut-off scores in residential aged care. J Nurs Manag, 23(3), 315-323. doi:10.1111/jonm.12132

McCormack, B., & McCance, T. V. (2006). Development of a framework for person-centred nursing. J Adv Nurs, 56(5), 472-479. doi:10.1111/j.1365-2648.2006.04042.x

 

 

Organisation(en)
Institut für Pflegewissenschaft
Anzahl der Seiten
2
Publikationsdatum
03-2017
ÖFOS 2012
303024 Pflegewissenschaft
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